Tessin - Geschrieben am Dienstag, Oktober 4, 2016 10:15 von Franco - 0 Kommentare

Bergtour Bosco Gurin – Passo Quadrella – Pizzo Bombögn – Campo

4.10.16

Alle Fotos zu dieser Tour unter diesem Link ersichtlich:
Bergtour Capanna Grossalp – Passo Quadrella – Pizzo Bombögn – Campo

In der warmen und romantischen Hütte nehmen wir das Frühstück zu uns.
Sämtliche Esswaren und die Getränke für das Frühstuck und das gestrige
Nachtessen, haben wir ja gestern mit den Rucksäcken hier hinaufgeschleppt.
Wie geplant, müssen wir für die nächsten 2 Tage keine Esswaren mittragen,
die Rucksäcke sind dadurch leichter als gestern, was uns natürlich entgegen
kommt. Die nächsten zwei Wandertage sind eher lang. Gut gestärkt verlassen
wir die schöne, heimelige und gut gelegene Casi Hütte auf der Grossalp
1907 m.ü.M., geben den Schlüssel dem Hüttenwart ab, bezahlen die
Rechnung und starten unsere heutige Wanderung.
Casi Hütte
Capanna Grossalp
Neben der Hütte steht ein Wegweiser. Wir folgen dem Weg Richtung Passo
Quadrella leicht ansteigend zur Bergstation der Sesselbahn 1987 m.ü.M. wo
wir das Trasse der Skipiste passieren. Sanft ansteigend geht es durch den
weiten Kessel der Grossalp weiter Richtung Passo Quadrella. Unsere Route
führt durch herrliche Almrosenbestände und quert bei Chummuhei 2115 m.
einige kleine Bäche. Problemlos und auf einfachem Wanderweg erreichen
wir den Passo Quadrella 2137 m.ü.M. Hier oben geniessen wir eine sehr
schöne Aussicht in das waldreiche Valle di Campo.
Mit einer Waldfläche von rund 150′000 Hektaren gehört das Tessin zu den
waldreichsten Kantonen der Schweiz. Nur Bern und Graubünden weisen in
absoluten Zahlen mehr Wald auf. Proportional betrachtet steht das Tessin
sogar an der Spitze, denn mehr als 51 Prozent seiner Grundfläche sind von
Wald bedeckt. Jährlich wächst der Tessiner Wald um rund 500′000 Kubik-
meter Holz. Wird eine Flache neu zu Wald, stehen die Birken meist an vor-
derster Front. Auch das Maggiatal ist ein Waldland, das merkt man beim
Wandern rasch.
Das war nicht immer so, im Gegenteil. Der Historiker Raffaello Ceschi
beschreibt in seiner Geschichte des Kantons Tessin, wie die Beziehung
der Menschen zum Wald im 19.Jhr. ausgesehen hat. Szenenwechsel ins
Jahr 1868: Gewaltige Unwetter im September in der ganzen Schweiz,
katastrophale Verwüstungen im Tessin. Überflutungen und Überschwe-
mmungen, Erdrutsche und flächenhafte Erosionen forderten allein im
Tessin 55 Menschenleben und verursachten einen Schaden von 6,5 Mio.
Franken. Tausende von Familien, die meisten arm oder sehr arm, verlo-
ren Felder und Ernten, mussten zusehen, wie Ställe zusammenbrachen,
Vieh ertrank, Heu und Holz mitgerissen wurden, wie die Keller mit den
Lebensmittelvorräten verschüttet wurden. In Locarno stieg der Seespie-
gel um fünf Meter. Das Wasser überschwemmte zahllose Häuser und
verdarb die gelagerten Waren. Eine Kommission des Bundes, die ange-
reist war, um das Schadenausmass abzuschätzen, fand den Hauptgrund
der Katastrophe rasch: den frevlerischen Umgang mit den Wäldern. Das
war nicht neu. Viele hatten schon früher eindringlich gewarnt, viele hat-
ten das kommen sehen: Forstleute, Gemeindevertreter, Anwohner der
Bäche und Flüsse. 30 Jahre früher gab es schon verheerende Überschw-
emmungen und entsprechende Warnungen. Alle diese Stimmen verhal-
lten. Weshalb? Die Antwort ist beschämend einfach: Gier, Geld, Armut,
Mangel an Arbeit. Der Kanton Tessin, zu Beginn des 19.Jahrhunderts
zu einer politischen Einheit verdonnert, setzte sich in erschreckendem
Masse aus Partikularinteressen zusammen, bestehend aus sich abgren-
zenden Talschaften, streitenden Gemeinden und konkurrierenden Stä-
dten. Die Regierung war schwach, der Grosse Rat mehrheitlich an den
eigenen Geschäften interessiert, und die Gemeinden demonstrierten
ein ausgeprägtes Autonomiebedürfnis. In erster Linie aber war der
junge Kanton zu bevölkerungsreich, entsprechend knapp an Ressour-
cen und arm. In den Städten der südlich angrenzenden Lombardei be-
stand eine riesige Nachfrage nach Bau- und Brennholz sowie nach bi-
lligen Arbeitskräften. Das Tessin lieferte beides. Die Verkaufspreise
für Holz lagen hoch. Man konnte es relativ bequem auf dem Wasser-
weg bis weit in die Poebene hinunterflössen Der Staat versuchte seine
leeren Kassen mit Zollabgaben zu füllen. Einflussreiche Familien in
den Tälern und Hauptorten wurden zu Holzhändlern, zahlreiche Mit-
glieder des Grossen Rates und der Regierung profitierten direkt davon,
die Bürgergemeinden als Eigentümerinnen der Wälder kassierten ih-
rerseits. Ganze Wälder an den Talhängen wurden an Holzhändler ver-
kauft und durch Kahlschlag weggefegt. Viele profitierten davon, je-
denfalls kurzfristig. Da hatten es warnende Stimmen schwer. Auch
Wälder, die als unantastbar galten und über Jahrhunderte erhalten
wurden, weil sie die Dörfer beschützten, wurden verramscht. Der lei-
chte Gewinn liess die Gemeinden alles vergessen. Die Regierung ver-
hielt sich passiv. In den Schutz der Siedlungen vor Überschwemmun-
gen wurde nicht investiert. Das Goldene Zeitalter des Raubbaus dau-
erte rund drei Jahrzehnte. Von 1830 bis etwa 1860. Danach gab es
nur noch wenig zu holen. Als wenig später die Gotthardbahn gebaut
wurde und der Bedarf an Holz mächtig stieg, waren die Wälder weg
und die Hänge kahl. Entsprechend höher waren die Kosten für die
nötigen Lawinenverbauungen.
Der Holztransport war eine gefährliche Arbeit. Sie wurde von einfachen
Arbeitern billig erledigt. Das geschlagene Holz wurde in langen, abfall-
enden Rutschen, deren Boden aus festgestampfter Erde und deren Sei-
tenwände aus Holzstämmen bestanden – “sovende” genannt -, zum nä-
chsten Wasserlauf geleitet. Um 1850 gab es beispielsweise im Tal von
Fusio eine sovenda, die von Fusio das ganze Tal hinunter bis Peccia rei-
chte. Beim Wasserlauf musste ein Damm, eine “serra”, errichtet werden
mit einer geeigneten Klappe. Das Holz wurde unterhalb des Dammes
deponiert, dann wurde die Klappe geöffnet und der gewaltig losbrech-
ende Wasserstrom riss die Stämme mit der Wucht eines Hochwassers
talwärts. Dass dabei beträchtlicher Sachschaden entlang des Ufers ent-
stand, ist nur logisch.
Die Gemeinden, sofern sie nicht gerade eigene Abholzpläne hegten,
beschwerten sich lautstark. Auch im Maggiatal herrschte Goldgräber-
stimmung, oder eben schiere Not, je nach Blickwinkel. Verschiedene
Gemeinden verschafften sich mit dem Waldverkauf etwas Geld, um
unter anderem den jungen Männern die Auswanderung nach Übersee
vorzufinanzieren. Interessant bei diesem Raubzug durch die Wälder
ist die Rolle der damaligen Politiker. Schon 1817 hatte der Kanton eine
Vereinbarung mit den Holzhändlern getroffen. Diese legte einen rela-
tiv tiefen Jahrespauschalbetrag fest für den Fall von Schäden an Ge-
bäuden, Brücken und Feldern. Die effektiven Schäden waren jedoch
oft bis zu zehnmal höher. Das war schlecht für die Gemeinden, die
dann für die Schadensberappung weitere Wälder veräussern mussten.
1840 erliess der Grosse Rat – aufgrund der Klagen über die ruinösen
Auswirkungen der radikalen Abholzungen – endlich und nach langen
Streitereien ein erstes Forstgesetz. Das Gesetz blieb aber die ersten
17 Jahre ausser Kraft. Der Regierung war das offenbar egal oder eben
recht. Als 1857 der erste Forstinspektor sein Amt antrat, hatte er null
Unterstützung, praktisch keine Kompetenzen und seine Ratschläge
wurden nicht beachtet. Der Raubbaurubel rollte und die Verwüstun-
gen gingen einfach weiter. Die Versuche mit Baumschulen und Auf-
forstungen fielen den gefrässigen Ziegen zum Opfer. Nach drei Jah-
ren warf er das Handtuch, ebenso sein Nachfolger im Amt. Auf
Anraten der Holzhändlerzunft schaffte der Grosse Rat bereits 1863
den Posten des Forstinspektors wieder ab. Grund: Es koste nur und
bringe ja nichts …
So waren um 1860 die Nadelwälder im Sopraceneri, als auch im Maggia-
tal, weitgehend zerstört. Im Val Sambuco hinter Fusio sei nicht einmal
mehr der Schatten eines Baumes zu entdecken gewesen. Die Folgen blie-
ben nicht aus. Die Abhänge wurden durch die Regengüsse ihrer lockeren
Erdschicht beraubt, die untern Talsohlen, besonders von Bignasco ab-
wärts, von furchtbaren Überschwemmungen verheert und mit endlosen
Sand- und Geschiebemassen bedeckt, denen jede Vegetation fehlt. An
Stelle eines einst fruchtbaren und angebauten Talgeländes ist eine för-
mliche Wüste, die ausgedehnteste Schuttbildung der Schweiz, entstan-
den. So seien die Hochwasser der Jahre 1834, 1868 und 1900 besonders
verderblich gewesen. Die Folge davon: Die Nutzfläche nahm ab, die Aus-
wanderung nahm zu. Wenn man erst vor Kurzem noch die Wälder abge-
holzt hatte, um die Emigration zu finanzieren, musste nun ausgewandert
werden, weil man früher die Wälder abgeholzt hatte. 1868 kam es dann
zur erwähnten ganz grossen Katastrophe. 1876 übernahm der Bund die
Oberaufsicht über alle Bergwälder, also auch über die verbliebenen Te-
ssiner Forstbestände. Mit beträchtlichem Aufwand wurde nun nach und
nach in die Wiederaufforstung investiert, mit Geld aus der ganzen Schweiz.
Die Aufforstungsprogramme und das faktische Ableben der Bergland-
wirtschaft haben zur Erholung der Wälder geführt. Die Händler hatten
ihren Gewinn längst auf der Seite, die Steuerzahler durften den Schaden
übernehmen. Das kennen wir auch aus der heutigen Zeit. Der Kanton
Tessin war eben too big to fail.
Die Wanderung zwischen den beiden Maggia-Seitentälern Valle di Campo
und Valle die Bosco/Gurin führt in den nordwestlichen Winkel des Tessins.
Der Aufstieg zum Passo Quadrella ist im Herbst besonders schön, dann lo-
dert der Lärchenwald zwischen Cimalmotto und der Alpe Quadrella leuch-
tend gelb. Ist der Himmel wolkenlos, offenbart sich alsbald ein schöner
Blick auf die umliegenden Gipfel, und kurz unter der Passhöhe werden im
Talgrund die Lichtungen von Cimalmotto und Campo sichtbar. Die beiden
Dörfer im Valle di Campo stehen auf labilem Grund. Auch jenseits der Pas-
shöhe lebten die Bewohner mit den Naturgewalten. Dort war es allerdings
der Schnee, der Bosco/Gurin immer wieder bedrohte. 1695 und 1749 wurde
das Dorf zweimal fast zur Hälfte zerstört, und nach dem verheerenden La-
winenwinter von 1951 rückte man dem weissen Tod mit Lawinenverbau-
ungen zu Leibe.
Vom Passo Quadrella geht es nun in steilem Zickzack hinab zu den Alpgebäuden
von Quadrella di Fuori 1791 m.ü.M. Imposant sind die alten Lärchen, die hier in
der obersten “Kampfzone” des Waldes, von Wind und Wetter zu knorrigen, ver-
witterten Gestalten geformt wurden. Hier hat man die Wahl direkt nach Cimal-
motto abzusteigen, oder nach links abzubiegen. Statt weiter abzusteigen, wen-
den wir uns nun nach links, um über einen angenehm verlaufendem Höhenweg,
durch dichte Lärchenwälder 1850 m.ü.M., ohne grösseres Gefälle oder Steigun-
gen, – unterhalb von Klein- und Grosshorn – talauswärts zu wandern. Wir errei-
chen die romantische kleine Lichtung im sonst dichtem Lärchenwald von Piano
dei Pii 1804 m.ü.M. Bei der Weggabelung biegen wir stark nach links ab, wo der
nun steile und teilweise ausgesetzte Bergweg, – eine Stelle mit Seil gesichert -
hinauf zum Piano delle Volpi führt. Oben angekommen führt der Höhenweg
stark nach rechts abbiegend auf die Hochweiden von Bombögn. Auf diesem
wunderschönen Höhenweg mit einer traumhaften Aussicht auf Campo und
Cimalmotto, wandern wir weiter talauswärts.
Das Valle del Bosco ist ein Seitental des bei Cevio ins Vallemaggia mündenden
Valle di Campo. Über den Passo Quadrella und über Pian Crosc führen Wander-
wege von einem Tal ins andere und wieder zurück, so dass die Tour rund um
den Gebirgskessel, in dem Bosco/Gurin liegt, nach einem aussichtsreichen Ab-
stecher ins Valle di Campo auch als Rundtour ausgestaltet werden könnte. Man
sollte die Gelegenheit jedoch nicht auslassen, auch die Dörfer Campo und Cim-
almotto zu besuchen. Es besteht ein augenfälliger Kontrast zwischen dem Valle
di Bosco und dem benachbarten Valle di Campo, ist letzteres doch deutlich brei-
ter, mit einem für Tessiner Verhältnisse fast schon gemächlich von der Alpe
Quadrella herabfallenden Berghang, der talwärts eine ausgedehnte Gelände-
terrasse bildet. Der sanfte Charakter dieses rund fünf Quadratkilometer grossen,
sonnigen Balkons verbirgt allerdings die Tatsache, dass der Untergrund aus lo-
ckerem, unstabilem Moränenschutt besteht, der von der Natur auf einer schräg
abfallenden Felsrampe abgelagert wurde. Das Widerlager der Terrasse wird
vom manchmal wilden Gebirgsfluss Rovana laufend unterspült, weshalb das
Gelände seit rund 150 Jahren unaufhaltsam talwärts rutscht. So richtig in Fahrt
kam dieser Prozess, als im 19.Jahrhundert das Tal abgeholzt und die Stämme
auf der Rovana geflösst wurden. Zu diesem Zweck staute man den Bach, um die
gefällten Bäume in die dadurch entstandenen, temporären Stauseen zu beför-
dern. Waren genügend Stämme beisammen, öffneten die Arbeiter die Staudä-
mme, und das Holz wurde mit den Wassermassen ein gutes Stück talwärts tran-
sportiert. Es gab mehrere solcher Dämme in der Rovana; 1857 wurden zum er-
sten Mal drei Dämme gleichzeitig gesprengt. Die Wassermassen und das Holz
donnerten mit unvorstellbarer Kraft durch das Bachbett und beschädigten
den Hangfuss zum ersten Mal beträchtlich. Seither rutscht der Hang, zusätzlich
begünstigt durch das Fehlen der gerodeten Bäume, deren Wurzeln vorher noch
halfen, das Gelände zu stabilisieren. Wenige Jahre später wurde die Flösserei
verboten, doch der Schaden war angerichtet; die Kirche von Campo liegt heute
rund dreissig Meter von ihrer ursprünglichen Position entfernt, und auch vie-
len anderen Häusern des Dorfes ist die Schieflage von blossem Auge anzuse-
hen. Um die Situation zu entschärfen, wird die Rovana heute durch einen
Stollen geführt, der südlich von Cimalmotto beginnt und das Wasser bei Pian
di Campo wieder in ihr natürliches Bett entlässt. Heute wirken die zwei Dörfer
Campo und Cimalmotto, die zusammen mit Pian di Campo und Niva eine po-
litische Gemeinde bilden, ausserhalb der Sommerferien leer und verlassen.
Tatsächlich hat das Valle di Campo einen der dramatischsten Bevölkerungs-
rückgänge des ganzen Kantons zu verzeichnen. Von einst über tausend Men-
schen lebt heute nur noch eine Handvoll das ganze Jahr in der Gemeinde.
Das war nicht immer so: Die stattlichen Häuser zeugen davon, dass es einige
Auswanderer in der Fremde zu Wohlstand gebracht hatten, den sie nach ihrer
Rückkehr ins Tal mit dem Bau solcher Häuser gerne zur Schau trugen.
Wir erreichen die Weggabelung bei Punkt 1994 m.ü.M. Rechts geht es nach
Campo hinunter. Wir wollen aber noch nicht absteigen, unser Ziel ist nämlich,
der zwischen Valle di Bosco Gurin und Valle die Campo liegende Pizzo Bombögn.
Den Gipfel eines Berges zu Fuss zu ersteigen verschafft immer Befriedigung und
starke Gefühle. Den Gipfel des Bombögn zu besteigen ist etwas Aussergewöhn-
liches: Wegen des Panoramas, wegen des Kreuzes und vor allem wegen der gros-
sartigen Mauer.
Wir wandern also geradeaus, wo schon nach ein paar Meter ein Bergpfad links
abbiegt. Kein Wegweiser oder Markierung ist als Hinweis vorhanden, das man
hier für auf den Bombögn zu gelangen, links abbiegen muss. So ist das Tessin.
Wild, einsam und naturbelassen. Wir biegen nach links ab und nehmen den
sehr steilen Hang in Angriff. Schon nach ein paar Meter entdecken wir eine klei-
ne Mulde. Hier deponieren wir ein Rucksack. Den zweiten Rucksack leeren wir
bis auf das notwendigste. Mit leichtem Gepäck steht der Besteigung des Pizzo
Bombögn nun nichts mehr im Wege. Kurz nach eine mit Lärchen bestückte
Felsstufe zweigt sich der Bergpfad. Da wir sofern es möglich ist, nicht zweimal
den gleichen Weg machen wollen, biegen wir links ab. Der Bergpfad zu Beginn
noch ersichtlich verliert sich danach in diesem steilen Hang. Oft weglos wandern
wir nun auf dem Südhang des Pizzo Bombögn leicht aufwärts Richtung Valle di
Bosco/Gurin, bis man die Abbruchkante des Pizzo Bombögn erreicht. schwin-
delerregend ist der Tiefblick von 700 Höhenmeter, hinunter nach Bosco/Gurin.
Der Weg biegt nun senkrecht in die Höhe. Über Schutt geht es nun sehr steil
aufwärts. Ein Weg ist nicht mehr auszumachen, was aber kein Hindernis dar-
stellt. Das grosse Kreuz auf dem Gipfel des Pizzo Bombögn weist einem sicher
den Aufstieg. Schweissgebadet erreichen wir den Pizzo Bombögn 2331 m.ü.M.
Trotz seiner bescheidenen Höhe schweift die Sicht vom Bombögn dank seiner
Lage zwischen zwei Haupttälern über ein weites, vielfältiges und interessantes
Panorama: von den zahlreichen, jetzt verlassenen Alpweiden zu den noch bes-
tossenen; von den ausgedehnten Wäldern, zu den immer kleineren Wiesen.
Bei klarem Wetter kann man sogar die Kette des Monte Rosa bewundern. Be-
sonders eindrucksvoll ist der Blick auf die Dörfer: auf der einen Seite Bosco
Gurin senkrecht unter dem Gipfel; auf der anderen, etwas weiter entfernt,
Campo und Cimalmotto mit der Mauer, die scheinbar bis zum Erdrutsch vor-
stösst. Sollte dann eines Tages der Nationalpark vom Ghiridone bis zum Baso-
dino Realität werden, liegt der Bombögn in seiner Mitte.
Ein eindrückliches Zeugnis bäuerlicher Architektur steht auf dem Pizzo Bombögn,
in dessen Winterschatten Bosco/Gurin liegt. Es ist eine 1 bis 2 Meter hohe und
knapp 1 Meter breite sowie 300 Meter lange Trockensteinmauer, die sich vom
Gipfel entlang der ungeheuren Plattenflucht knapp 150 Höhenmeter über die
jähe Südflanke hinunterzieht. Sie wurde zwischen April und Dezember 1948
von Arbeitern aus Cevio errichtet und bezweckte, die gefrässigen Ziegen von
Cerentino und Bosco/Gurin am Eindringen in die Waldpflanzungen zu hindern,
welche nach 1930 auf dem Hang oberhalb von Campo und Cimalmotto im Rah-
men einer umfassenden Forstsanierung des Gebietes angelegt worden waren.
Das abfressen der empfindlichen Grasnarbe würde zu Erosion führen und ver-
mehrten Murgängen und vor allem Lawinen Vorschub leisten, welche das di-
rekt unterhalb des Pizzo Bombögn liegende Campo bedrohen. Die Mauer ist ein
monumentales, einziges im Tessin auf einem Berggipfel realisiertes und zudem
umfassend dokumentiertes Werk: von den Stundenlöhnen der Arbeiter über die
monatlichen Arbeitsstunden bis zur Herkunft der Arbeiter. Leider gibt es keine
direkten Zeugen mehr der Schwierigkeiten, Anstrengungen, vielleicht auch vor-
gefallenen Unfälle, da alle Arbeiter inzwischen verstorben sind. Sicher wurde
die ganze Mauer ausschliesslich von Hand errichtet, indem man die mittels
Vorschlaghammer und Spitzhacke aus den umliegenden Felsen geschlagenen
Steine mit grosser Präzision aufeinander schichtete. In den letzten Jahren wur-
de die Mauer komplett restauriert und zeigt sich nun von seiner besten Seite.
Die Mauer, Sinnbild des Überlebenskampfs im Gebirge, der sich gerade in
diesem heiklen Gleichgewicht zwischen Über- und Unternutzung der
Kulturflächen zeigt.
Hier bei schönster Aussicht und neben diesem riesigen Kreuz legen wir unsere
Mittagspause ein. Wandert man hier in diesem Gebiet ist der Bombögn ein ab-
solutes Muss. Der Abstieg den wir nach der Rast in Angriff nehmen, ist ein wei-
terer Höhepunkt dieser Wanderung. Wir steigen nicht über den gleichen Weg
ab, wie wir gekommen sind, sondern laufen direkt auf dieser riesigen Mauer ab-
wärts. Wer dies nicht möchte, kann selbstverständlich neben der Mauer runter-
laufen. Vorsichtig setzen wir einen Fuss nach dem anderen auf diese riesigen
Steinplatten. Überrascht stellen wir fest, das praktisch keine irgendwie nur ein
bisschen wackelt, und dies alles ohne Zement oder Mörtel! Ein unbeschreibli-
ches Gefühl kommt einem hoch wenn man auf dieser Mauer die extrem steile
Südflanke runterlauft. Nur fliegen ist vermutlich schöner. Nach dem Ende der
Mauer geht es im steilen Gras weiter absteigend, Felsstufen ausweichend zum
Höhenweg, der die Südseite des Pizzo Bombögn auf etwa 2000 Metern durch-
zieht. Wir stopfen nun alles wieder in den Rucksäcken, und laufen zur Wegga-
belung bei Punkt 1994 m.ü.M. zurück. Hier biegen wir nun links ab und steigen
durch den Wald von Pignöi, über einen endlosen Zickzack Waldweg nach Larec
1562 m.ü.M. ab. Der Waldweg ist zwischendurch nicht zu sehen. Wildes einsa-
mes Tessin. Endlos führt der Waldweg weiterhin steil über den zickzack Weg
nach Corciàn 1460 m.ü.M. Nach ungefähr 1000 Höhenmeter Abstieg erreichen
wir den Talboden von Valle di Campo. Wir erreichen die Hauptstrasse biegen
rechts ab, und erreichen die Kirche von San Bernardo 18. Jahrhundert. Die
Kirche ist geschlossen. Neben der Türe steht der Hinweis, dass man den Schlü-
ssel in der Locanda Fior di Campo beziehen kann. Mit Freude stellen wir fest,
das dies das gleiche Hotel ist, wo wir heute Abend übernachten werden. Wir
laufen durch das schön gelegene Dorf von Campo Vallemaggia 1314 m.ü.M.
und erreichen die Locanda Fior di Campo.
Locanda Fior di Campo
Vincenzo Pedrazzini, Bürger von Campo wohnhaft in der Deutschschweiz -
Ihn haben wir später beim Essen kennengelernt – hat eine Vision. Er möchte
Campo wieder zum Leben erwecken. Darum hat er das alte Hotel und Restau-
rant übernommen und komplett restauriert. Mit der Locanda Fior di Campo
soll nicht nur ein Hotel und ein Restaurant geführt werden. Es geht ebenfalls
darum, das Gebiet touristisch zu fördern und den noch verbleibenden Ein-
wohnern und Ruhesuchenden eine Infrastruktur zu bieten.
Projekt Fior di Campo
Freundlich werden wir empfangen und zu unserem Zimmer geführt. Das
Hotelzimmer ist einfach Superlativ schön. Wir sind begeistert. Nie im Leben
hätten wir erwartet, das in so einem abgelegenen Tal, so etwas Schönes vor-
handen ist. Nach dem Duschen und Umziehen, beziehen wir beim Empfang
den Schlüssel und laufen über einen Kreuzweg zur Kirche. Der Kreuzweg von
Campo Vallemaggia wurde im Freien um 1760 erbaut und ist gekennzeichnet
von erheblichen Proportionen. Er ist als Kulturgut von regionalem Interesse
im Schweizer Inventar abgelegt. Über den restaurierten Kreuzweg erreichen
wir die Kirche San Bernardo.
Kreuzweg
Wir drehen den Schlüssel und stossen die Türe auf. Was wir sehen erschlägt
uns. Die Wände der Kirche sind mit sehr schönen Fresken bemalt. Die Pfarr-
kirche San Bernardo von Campo wurde etappenweise gebaut. Es scheint,
dass die ersten Wände im 18. Jahrhundert gebaut worden sind, im „Goldene
Zeitalter“ von Campo: das Kirchenschiff, das Presbyterium, das Baptisterium
und die beiden vorderen Kapellen, wurden der Madonna del Carmelo und
Madonna del Rosario gewidmet (zwischen 1597 und 1626).
Kirche San Bernardo
Die Kirche San Bernardo von Campo, mit seinen Fresken und seiner Grösse,
ist eine der faszinierendsten, religiösen Struktur im Maggiatal. Zwischen 2008
und 2012 wurden Restaurierungsarbeiten durchgeführt. Wir verlassen die
Kirche, schliessen die Türe hinter uns, und laufen durch das Dorf. Das kleine
Dorf von Campo, besitzt 3 Kirchen! Vorbei am Kreuzgang erreichen wir das
Oratorium Vergine Addolorata.
Oratorium Vergine Addolorata
Das Oratorium wurde im 18. Jahrhundert, genauer gesagt im Jahre 1767, auf
Antrag der Familien Pedrazzini von Campo Vallemaggia nach einer schweren
Epidemie gebaut.
Als nächstes besuchen wir das Oratorium San Giovanni Battista.
Oratorium San Giovanni Battista
Die Struktur wurde durch den Gründer Giovanni Battista Pedrazzini I im Jahre
1749 zu Ehren des Schutzpatrons gebaut. Die Eingangstüre befindet sich unter
dem Bogen zwischen dem Oratorium und dem Wohnhaus (Haus des Gründers)
und wird durch einen Rahmen aus „Beola“, wo die Initialen des Gründers und
das Datum des Baus eingraviert sind, gekennzeichnet. Über der Türe ist auch
eine Freske vom Familienwappen. Das Oratorium hat keine grösseren Verän-
derungen im Laufe der Jahrhunderte erlitten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts
wurden nur Renovationsarbeiten durchgeführt. Unser Dorfrundgang endet bei
den Pedrazzini Häuser, die von der Familie Pedrazzini im 18. Jahrhundert in
den Jahren 1730 und 1782 erbaut wurden.
Pedrazzini Häuser
Die Gebäude bestehen aus zwei Stadthäuser. Das rechteckige Gebäude, neben
dem Oratorium von Vergine Addolorata, besteht aus drei Etagen. An der Fassade
gibt es zwei Weihfresken, dargestellt durch die Trauer von Christis Tod und der
ewige Vater unter den Heiligen, welche vom berühmten Maler Giuseppe Mattia
Borgnis von Craveggia realisiert wurden. Nebst den genannten Fresken kann
man auf der gleichen Fassade eine Sonnenuhr mit den Wörter “Fermati o pass-
eggier e pensa al punto a cui si riducono le ore a render conto a Dio” und das
Wappen der Familie Pedrazzini sehen. Oberhalb des Baches gibt es ein weiteres,
beeindruckendes Gebäude mit einer leicht schrägen Fassade, auf welcher zwei
Fresken dargestellt sind. Das Oratorium von San Giovanni Battista ist Teil des
Gebäudes. Die zentrale Freske stellt die Jungfrau Maria, San Michele und San
Antonio dar und auf der linken Seite der ewige, makellose Vater. Die Gärten
waren sehr herrschaftlich. Ausserdem gab es einmal hinter dem Hauptgebäude
zwei andere Häuser, die leider abgerissen wurden.
Nach diesem schönen und interessanten Dorfrundgang laufen wir mit
knurrenden Mägen zum Hotel zurück. Im sehr schönen Restaurant werden
wir kompetent und freundlich bedient. Das Essen schmeckt hervorragend.
Wein und Grappa perfekt. Zufrieden legen wir uns danach im schönen Bett,
und hören das Röhren, der im Wald befindlichen brunftigen Hirschen zu.

Meistens einfache
Wanderwege und in
der Regel gut markiert.
Bei Piano delle Volpi
ausgesetzter Bergweg.
Der Aufstieg auf den
Pizzo Bombögn ist
zwar nicht gefährlich
und doch nur für
bergerfahrene
Wanderer geeignet.

Tourenblatt mit Wanderkarte und Höhenprofil
Link zu den anderen Wanderungen
Für die ganze Strecke benötigten wir ca. 5 3/4 Std. 13,5 km
ca.1080m Aufstieg
ca.1650m Abstieg
2331m höchster Punkt
1280m tiefster Punkt

Über einen Eintrag in unserem Gästebuch
Link zum Gästebuch
würden wir uns freuen

Manuela & Franco



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