Tessin - Geschrieben am Sonntag, September 20, 2015 1:15 von Franco - 0 Kommentare
Bergwanderung Prato – Capanna Soveltra – Via Alta Vallemaggia – Sonogno
20.9.15
Alle Fotos zu dieser Tour unter diesem Link ersichtlich:
Bergwanderung Prato – Capanna Soveltra – Via Alta Vallemaggia – Sonogno
Tag I
Mit dem Auto bis nach Locarno. Bevor wir jeweils eine Wanderung von Locarno aus starten, kehren
wir in der Regel, in das in der Nähe der Schiffsanlegestelle liegende Café Al Porto ein.
Café Al Porto
Der Kaffee und die Brioche alla crema sind einfach himmlisch.
Ein FART-Bus bringt uns danach von Locarno ins hintere Maggiatal bis nach Bignasco.
Nach Bignasco verzweigt sich das Haupttal fächerartig in verschiedene Seitentäler: Val Rovana,
Val Bavona und Val Lavizzara. In Bignasco heisst es umsteigen in den “Postale” um über Cavergno
ins Val Lavizzara vorzustossen. Cavergno ist untrennbar mit dem Tessiner Schriftsteller Plinio Martini
verbunden. In seinem Roman “il fondo del sacco” erzählt er die tragische Liebesgeschichte eines
jugendlichen aus Cavergno. Wie so viele andere aus dem Maggiatal wanderte er zu Beginn des
20. Jahrhunderts – teils durch Armut seiner Familie gezwungen, teils von Neugier und Abenteuerlust
getrieben – nach Kalifornien aus. Er lässt dabei seine Geliebte aus der Schulzeit zurück, die wenig
später stirbt. Zu spät erkennt er, dass er sein Leben, trotz erworbenem Reichtum, drüben vertan
hat … Heute ist das Leben im hinteren Maggiatal bequemer geworden, aber immer noch schwierig
genug. Neben dem Tourismus sind der Marmorsteinbruch bei Peccia und die Kraftwerkzentralen die
wichtigsten Arbeitgeber. Ein Strassentunnel durch den Bergkamm, der im Norden das Maggiagebiet
vom Bedretto Tal und von der Leventina trennt, blieb ein Wunschtraum. Obwohl Airolo in der Luftlinie
ganz nah ist, müssen bis zum Nordportal des Gotthardtunnels 120 Kilometer gefahren werden.
Auch an den Flanken sind die Täler von zahlreichen Gipfeln und Graten umgeben, die hohe
Schranken bilden. Sie können nur über Passpfade von über 2000 Meter Höhe überwunden werden.
Einer der eindrücklichsten Übergange ist die Forcola di Redòrta, die das Val Lavizzara mit dem
Val Verzasca verbindet. Wer sich für diese Tour entscheidet, muss nicht nur früh aufstehen,
sondern auch genügend Ausdauer mitbringen. Aber alles schön der Reihe nach.
In Prato Paese 742 m.ü.M. ist für uns Endstation, und wir verlassen das Postauto.
Das Ristorante “al Ponte” mit seiner schmalen Terrasse zwischen Wasserfluss der Maggia und
Verkehrsfluss der Talstrasse bietet eine letzte Stärkungsmöglichkeit vor dem Aufstieg.
Über die Strasse wird uns der Kaffee gebracht, das Tessin ist halt schon fast wie Italien.
Während dem Kaffeetrinken verweilen unsere Gedanken noch etwas bei der langen Fahrt die wir
bis jetzt genossen haben. Wir verlassen das Ristorante und beginnen unsere Talwanderung zur
Capanna Soveltra. Der Wegweiserangabe auf der Ostseite der Brücke folgend durchqueren wir
Prato. Das Dorf Prato ist seit bald 150 Jahren mit Sornico zu einer Gemeinde vereinigt. Sofort fallen
uns die prächtigen Bürgerhäuser auf, die auf Wohlstand im wilden Hochtal schliessen lassen.
Es sind Häuser von Einwohnern, die im 19. Jahrhundert im Ausland zu Vermögen kamen.
Eine historische Anmerkung wert ist auch das Gerichtshaus in Sornico: Die zwischen dem
16. und 18. Jahrhundert in Cevio residierenden eidgenössischen Landvögte kamen regelmässig
hierher, um in der Talschaft Lavizzara Recht zu sprechen. Symbol jener Zeit der Fremdherrschaft
ist die Kette des Prangers, die immer noch an einer Hausmauer zu sehen ist. Sehenswert sind
auch die Kirchen SS. Sebastiano e Rocco und San Martino. Wir verlassen das Dorf beim
Ostausgang und folgen einer Naturstrasse, leicht ansteigend hinein ins Val di Prato. Nach einem
knappen Kilometer bei Punkt 767 m.ü.M. verläuft eine angenehme Wegvariante unterhalb des
Fahrweges. Es ist dies der alte Talweg. Wir verlassen den Fahrweg und biegen rechts ab.
Vorbei an verschiedenen Heiligen- und Mariendarstellungen führt er durch einen Kastanienwald
zum verfallenen Weiler Presa, und wieder hinauf zur heutigen Talstrasse. Man kann aber auch
auf dem nicht asphaltierten Fahrweg bleiben und so ins Tal hineinwandern. Einst stiegen hier
die Älpler durch den dichten Wald auf ihre hoch gelegenen Weiden. Beim Abstieg hatten sie
ihre Kessel randvoll mit Milch gefüllt. Über Faèd 950 m.ü.M. erreichen wir über den leichten
und abwechslungsreichen Talweg, die alte Steinbrücke über die wir den Ri della Valle di Prato
überschreiten. Nur noch ein paar Schritte, und wir stehen beim Weiler Monte di Predee 1001 m.ü.M.,
ein kleines Paradies für Rustici-Besitzer. Von Süden her mündet hier das Valle di Pertüs ins
Val di Prato, vom Val Lavizzara aus gesehen also ein Seitental des Seitentals. Die Wiesen in der
Umgebung dieses Monte werden immer noch gemäht, die Kulturlandschaft wird noch gepflegt.
Direkt vor der kleinen Kapelle biegt der Wanderweg links ab, und führt zwischen den Rustici den
Weganzeigen folgend, hinauf nach Schièd. Kurz nach Schièd bei Punkt 1162 m.ü.M. nicht über die
Brücke, sondern rechts des Baches weiter ins Val di Prato hinein bis zur Wegverzweigung auf
ca. 1300 m.ü.M. Der Pfad rechts führt auf die Alpe Campala. Eine Variante die wir nicht nehmen.
Unser nächstes Wegstück hingegen, ist die vollständig in den Felsen gehauene, mit Mauern
abgesicherte “scalate”. Beim Bildstöckli des San Lorenzo haben die Menschen früher wohl ein
stilles Stossgebet zum schmalen Himmel gesandt, denn nun geht es hinein in die – mittlerweile
ungefährliche – Schlucht. Der spektakulär angelegte Weg führt nun teils den Felsen entlang und
teils über lange Treppen durch die enge Schlucht. Feuchte Luft und das Dröhnen des Baches
prägen diese einzigartige Passage. So mancher Wanderer mag über diese abschüssige, glitschige
Passage geflucht haben – und hat den Gang später doch nie bereut. Nicht nur im Ri della Valle di
Prato fliesst das Wasser, sondern auch von den neben uns steil hinaufragende Felsen, tropft und
fliesst das Wasser auf uns hinab. Es ist nicht möglich durch diese Schlucht zu laufen, ohne das
man Nass wird. Steintreppen führen uns aus dem breit ausgebauten Schluchtweg, wieder ans
Sonnenlicht, wo sich das Tal öffnet. Bei Punkt 1458 m.ü.M. überqueren wir über eine kleine
Holzbrücke den Ri della Valle di Prato. Direkt beim kleinen Bergbach, legen wir kurz danach die
Mittagspause ein, und geniessen die wärmende Sonne. An einigen Lärchen vorbei erreichen wir
nach der Rast, die Alpe Campo Tencia und zeitgleich die sympatisch eingerichtete
Capanna Soveltra 1534 m.ü.M.
Capanna Soveltra
Die Capanna Soveltra liegt im hinteren Teil des Val di Prato und gehört zu den vergleichsweise
einfach erreichbaren Hütten im Vallemaggia. Eine Wanderung hinauf zur Hütte und wieder hinunter
ins Tal ist ein lohnendes Tagesprogramm, Kaffee und selbst gebackener Kuchen in der Capanna
sind garantiert. Die Capanna Soveltra ist aber auch Ausgangspunkt für attraktive und etwas
anspruchsvolle Wanderungen, wie z.b. entlang der Via Alta Vallemaggia Diese werden wir morgen
unter die Füsse nehmen. Überaus freundlich werden wir von Gertrud und Yvonne empfangen.
Die Capanna Soveltra besitzt wie bei diversen Hütten im Tessin, nicht einen festen Hüttenwart,
sondern die Hüttenwärte ändern nach einem festen Turnus. Hier in dieser Capanna wechseln sich
die Hüttenwärte in einem Wochenrythmus ab. Wie immer beziehen wir zuerst unsere Betten,
waschen uns, und ziehen frische Kleider an. Nach getaner Arbeit öffnen wir eine Flasche Merlot
und geniessen auf einem der grossen Holztische vor der Capanna den Wein und die Sonne.
Betörender Duft nach Essen macht uns bemerkbar, dass es Essenszeit ist. Die zwei Damen haben
ein grandioses Nachtessen vorbereitet. Es gibt Pizzoccheri und Fleisch. Wie oft können wir einen
Fazit ziehen, auch in dieser Hütte haben wir sehr gut gegessen. Es wird ein wie so oft interessanter
Abend. Die Hütte ist gut besucht und an Gesprächspartner fehlt es nicht. zufrieden gehen wir zu Bett.
Einfache Talwanderung.
Einzig beim Schluchtweg,
sollte man wegen den
rutschigen Stufen
aufmerksam sein.
Tourenblatt mit Wanderkarte und Höhenprofil
Link zu den anderen Wanderungen
Für die ganze Strecke benötigten wir ca. 3 Std. 6,8 km
ca.915m Aufstieg
ca.120m Abstieg
1534m höchster Punkt
742m tiefster Punkt
21.9.15
Tag II
Gut ausgeruht, packen wir unsere Rucksäcke und nehmen danach das Frühstück zu uns. Heute
steht eine lange Wanderung vor uns. Wir wollen über den Passo di Redòrta nach Sonogno wandern.
Ein grosses Stück der Wanderung, wird uns über die Via Alta Vallemaggia führen.
Via Alta Vallemaggia
Wir verabschieden uns von unseren sehr freundlichen Gastgeberinnen Gertrud und Yvonne und
machen uns auf den Weg. Von der Capanna Soveltra 1534 m.ü.M. geht es zuerst noch ein kurzes
Stück Taleinwärts, bis zu einer kleinen Brücke die uns über den Ri della Valle di Prato führt.
Rechts abbiegend, folgen wir danach die Wegzeichen hinauf zur Cascina Nuova 1602 m.ü.M.
Hier bei der Weggabelung steht auf dem Wegweiser nichts von Passo di Redòrta oder Sonogno.
Links geht es über die Bocchetta della Campala zur Capanna Barone. Diese Hütte haben wir
schon besucht. Ein Wegweiser mit dem Signet der Via Alta Vallemaggia zeigt geradeaus. Da wir
ja wie schon erwähnt, heute Morgen meistens auf der Via Alta Vallemaggia wandern und die
Richtung als solches stimmt, laufen wir weiter geradeaus Richtung Corona di Redòrta und
Tomeo. Letzteres oft auch “Tomè” geschrieben. Auch diese Hütte haben wir schon besucht.
Eine gute Planung, Wanderkarten und GPS ist im Tessin oft unerlässlich. Das hat uns diese
Weggabelung wieder gezeigt. Wir verlassen die Alpe Campala und wandern weiter. Die Route ist
nun durchgehend mit weiss-blau-weissen Wegzeichen oder blauen Punkten markiert. Steil geht es
nun durch den Lärchenwald hinauf nach Pianconi Punkt 1877 m.ü.M. und taleinwärts, an- und
absteigend, ins Gebiet Larecc. Der Hang ist hier felsdurchsetzt und abschüssig. Bei Nässe ist hier
Vorsicht geboten. Weiter aufwärts geht es nun in die Richtung von Ganne di Larecc. Auf etwa
2000 Metern biegt der Bergweg Richtung Süden ab und wir überqueren den Ri di Larecc, der sich
tief im Fels eingegraben hat. Vorsicht, wenn noch Lawinenschnee im Bachbett liegt. Weiter in
südlicher Richtung den Markierungen folgend, erreichen wir Piattello 2072 m.ü.M. Der Bergweg
zieht nun steil aufwärts in das Gebiet von I Rocc. Es geht nun über gletschergeschliffene Felsen
und Geröll hinauf zum Westgrat der Corona di Redòrta. Die Tour verläuft nun auf weiten Strecken
über felsiges Gelände und Geröll- hier können Ungeübte je nachdem viel Zeit und Nerven verlieren.
Kurz vor dem Grat erreichen wir einen Felssockel. Hier müssen wir die Hände aus der Hosenta-
sche nehmen. In dieser Höhe ist es in der Nacht nun schon kalt, und der Regen der vorhergehen-
den Tage, hat den Felsen mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Konzentriert überwinden wir diese
Passage und stehen kurz danach beim 2585 Meter hoher Übergang ins Valle di Pertüs. Dieser
Übergang ist in der Karte nicht markiert. Die weiss-blau-weissen Wegzeichen leiten aber einem
sicher zum Übergang. Was uns auf der überraschend sanften Geländerippe oberhalb des Fels-
sockels erwartet, lässt alle Mühen im Nu vergessen. Das Valle di Pertüs liegt fast senkrecht zu
unseren Füssen, während der Blick auf die weiten, von Gräsern und Heidelbeersträuchern durch-
zogenen Geröllhalden an den Flanken der Corona di Redòrta und des Monte Zucchero frei wird.
Vor allem im Herbst ist dies ein unvergesslicher Anblick, wenn die Lärchen, Sträucher und Gräser
in den verschiedensten Rot-, Orange- und Gelbtönen leuchten. Umrahmt wird die Szenerie von
einem bizarren Zackenspalier, das nur an einer Stelle markant unterbrochen wird: vom Passo di
Redòrta, das uns zum Greifen nahe scheint. Doch der Schein trügt. Es dauert nochmals eine Stunde,
bis wir den Sattel auf 2181 m.ü.M. erklommen haben. Der Ausblick auf diesen namenslosen Pass
wo wir jetzt stehen, ist bemerkenswert. Im Westen geht das Auge bis zu den Walliser Viertausendern,
im Nordwesten sind die wilden Bergketten des Basodino und des Cristallinagebiets auszumachen,
und im Norden liegt der weite, verlassene Talkessel am Campo Tencia. Den Horizont aber dominiert
die Corona di Redòrta, eine massige, wohlgeformte Pyramide. Mit der Überschreitung des
Westgrates der Corona di Redòrta haben wir den höchsten Punkt der gesamten Via Alta Valle
Maggia erklommen. Nach einer kleinen Pause, heisst es nun tief durchatmen, Wanderstöcke fest
im Griff haben und vorsichtig in den sehr steilen Abstieg hinein. Auf den obersten 100 Höhenmetern
sind Fehltritte nicht erlaubt. Bei Nässe oder Schnee lebensgefährlich. Ein Fuss nach dem anderen
tasten wir uns langsam und konzentriert in die Tiefe. Nur ein kurzes Stück ist mit einer Kette
gesichert. Die Wegspur folgt zuerst der Falllinie, wendet sich dann etwas nach links, zu einer
Schlucht. Altschneefelder oder nach starkem Regen, machen das passieren dieser Schlucht ein
Ding der Unmöglichkeit. Steil geht es in die Schlucht hinein. Vorsichtig durchqueren wir die felsige
Schlucht. Steil geht es auf der anderen Seite der Schlucht, die von der Corona di Redòrta herunter-
zieht, wieder hinaus. Nun haben wir das gröbste hinter uns. Leicht abwärts erreichen wir, bei
das mit Felsen übersäten, kärglichen Weideland von Gonta, wieder flacheres Gelände. Auf ca.
2000 m. erreichen wir eine Weggabelung. Rechts abbiegend geht es hinunter nach Monte di
Predee oder zur Capanna Tomeo. Links abbiegend und aufwärts geht es zum Passo di Redòrta.
Wir biegen links ab und nehmen den Gegenanstieg unter die Füsse. Über Geröll und Schutt führt
uns der Weg hinauf zum Passo di Redòrta 2181 m.ü.M. Wieder stockt der Atem. Diesmal ist es der
tiefe Blick ins Val Redòrta bis knapp vor Sonogno, der uns beeindruckt. Aber auch die beidseitige
Fernsicht zu den schneebedeckten Bergen am Horizont lässt unsere Herzen höher schlagen. Noch
bis vor hundert Jahren war dieser Pass die einzige Verbindung zwischen dem Val Lavizzara auf der
Westseite und dem Val Verzasca im Osten. So wichtig war er, dass seine Überquerung für manche
den schönsten Tag des Lebens bedeutete. Wie Ely Riva in seinem schönen Buch über das Val
Verzasca schrieb: “Era passeggio obbligato per colui che da Sonogno a Prato, e viceversa, portava
a casa la sposa fresca d’altare”. Was bedeutet, dass damals der Bräutigam seine Frischvermählte
von Sonogno über den Pass nach Prato trug oder aber in umgekehrter Richtung, je nachdem, wo
er zuhause war, wobei das Tragen aber, wenn auch die Männer damals noch richtige Männer
waren, wohl kaum wörtlich zu nehmen ist. Viel Platz gibt es nicht auf dem Passo di Redòrta,
und so wird man sich an einem windigen Tag wohl in eine grasige Mulde zwischen einigen
Felsblöcken auf der Westseite des Passes zurückziehen. Bevor man dann den Abstieg nach
Sonogno antritt, lohnt es sich auf jeden Fall, die Schuhe fest zu binden, die Stöcke auszufahren
und die Kniescheiben frisch zu ölen, denn die ersten dreihundert Höhenmeter geht es zwischen
hoch aufragenden Felswänden zünftig steil bergab, weit unten die Alpe della Redòrta. Hier wird
einem auch klar, warum das Val Verzasca früher das valle “orribile”, das fürchterliche Tal, oder das
valle “che incute paum”, das Tal, das einem Angst einjagt, genannt wurde. Wir verweilen eine
längere Zeit hier oben. Kein störender Wind. Niemand weit und breit zu sehen, und das seit heute
Morgen! Traumhaftes Wetter, was möchte man noch mehr. Nach der Mittagspause heisst es alles
abwärts bis nach Sonogno. Über 1200 Höhenmeter sind zu bewältigen. So schlimm wie oben
erwähnt, ist es aber nicht – der Weg, wenn auch steil und stellenweise rutschig, durchgehend
angelegt und für all jene, die sich steile Tessiner Wege gewohnt sind, kein Problem. Es lohnt sich,
immer wieder kleinere Pausen z.b. bei Punkt 1871 m.ü.M., in den Abstieg einzustreuen – nicht nur,
um die Knochen zu schonen, sondern auch der fantastischen Aussicht wegen. Interessant ist ein
Besuch bei den Ställen auf der Alpe della Redòrta. Anders als die Alpe Pertüs ist diese Alp auf
1714 m.ü.M. noch bewirtschaftet, und die Bergbauern produzieren einen schmackhaften Käse.
Nun auf einfachem Wanderweg über Punkt 1471 m.ü.M. etwas sanfter, weiter talwärts absteigend.
Kurz vor dem Weiler Püscen Negro überqueren wir auf einer Brücke die Redòrta, das Gewässer,
das dem Tal und dem Pass den Namen gab. Nach etwa 750 Metern Abstieg erreichen wir die
kleine Siedlung Püscen Negro 1343 m.ü.M. Hier scheint die Zeit vor ein paar Jahrhunderten stehen
geblieben zu sein. Das Dutzend alter Steinhäuser schmiegt sich eng aneinander, ein Madonnenbild
an einer Fassade lädt zum Verweilen, und in die Keller flüchten sich noch heute bei Unwetter die
Tiere. Kein Auto gibt es hier, und auch kein Grotto. Tessin, altes Tessin pur. Die Steinhäuser wirken
verlassen, waren früher aber ganzjährig bewohnt und dienen heute als Wochenendhäuschen. Auf
den Steindächern blinken Sonnenkollektoren, und zwischen den Rustici warten Plastikschläuche,
Waschbecken und Kochherde auf Bastler. Überraschend das alte Kirchlein, das sich in einem
guten Zustand befindet. Die Aussicht, demnächst wieder ebenen Boden unter den Füssen zu
haben, !asst uns aber nicht ruhen. Der letzte Hang, bis zum Talsträsschen, wird über zahllose
Serpentinen bewältigt. Der Blick zurück in den Couloir mit der winzigen Lücke in der Felsbarriere
löst ungläubiges Kopfschütteln aus: Was, dort oben waren wir tatsachlich? Bis man den Talgrund
bei Fraced 1041 m.ü.M. erreicht, wird man die Glieder wohl schon etwas spüren. Perfekt wäre jetzt
ein kristallklarer Badepool zur Abkühlung. Und es gibt ihn tatsächlich! Wenige Meter oberhalb der
Talstation der Materialseilbahn versteckt er sich, umgeben von Fels und Sand, direkt gespiessen
von einem kleinen Wasserfall. Das Wasser ist uns aber zu kalt, und Sonogno noch weit weg.
Bis Sonogno drehen sich unsere Gedanken dann nur noch um folgende drei Dinge: Salami und
Käse kaufen, ein kühles Bier und die Fahrt mit dem Postauto. Über die Asphaltstrasse erreichen
wir Froda 955 m.ü.M. Ein letzter Höhepunkt wartet noch kurz vor Sonogno. Die Wasserfälle
“Cascata della Froda”. Hier stürzen die gesammelten Wasser aus dem grossen Bergkessel
zwischen Cima di Cazzai und Cima di Carded über einige Felsstufen. Von hier ist es nur noch
etwas mehr als einen Kilometer bis nach Sonogno. Püscìd 925 m.ü.M. heisst das letzte kleine
Dorf, das wir auf dem Weg nach Sonogno durchschreiten. Nach dieser Durststrecke auf Asphalt
erreichen wir schliesslich Sonogno 918 m.ü.M. Ein Rundgang durch das schmucke Dorf lohnt sich
auf jeden Fall. Überragt wird die Siedlung von der “nuova chiesa”, der neuen Kirche. “Neu” heisst
sie, da sie erst 1854 erbaut wurde. Vorher stand hier eine alte Kirche, die aber den Gläubigen nicht
mehr genügend Platz bot. 1852 wurde beschlossen, mit einem Budget von Fr. 19 588.17 eine neue
Kirche zu bauen. Diese tiefen Kosten waren nur dank viel unbezahlter Arbeit der Einheimischen
möglich. lm Dorf befindet sich auch der älteste Brotbackofen des Tessins. Mit seinen verwinkelten
Gassen, den eng zusammengebauten, einheitlich mit Steinplatten bedeckten Häusern und dem
üppigen Blumendekor entspricht Sonogno exakt dem weit verbreiteten Tessin-Klischee.
In Sonogno beginnt und endet die Handlung des bekannten Kinder- und Jugendbuches
“Die schwarzen Brüder” von Lisa Tetzner. Der herzzerreissende Jugendroman erzählt die auf
Tatsachen basierende Geschichte des kleinen Giorgio aus Sonogno im Verzascatal, der als
Kaminfegerjunge eingesetzt worden war. Lisa Tetzner hatte in alten Chroniken von dem Schicksal
solcher kleiner Jungen aus dem Verzascatal und anderen Tälern des Tessins gelesen, die wegen
ihrer geringen Grösse als Kaminfegerbuben (ital. Spazzacamini) in Mailand eingesetzt worden
waren. Noch bis in die Mitte des 19. Jh. wurden diese Buben aus wirtschaftlicher Not zu diesem
Einsatz nach Norditalien verkauft. Viele kamen bei der gefährlichen Arbeit ums Leben. Hunger
und Durst sind gross, als wir uns an einen Tisch eines Ristorante setzen, neben die fein
coiffierten und gekleideten Tagestouristen aus dem Locarnese, die den Barone, diesen höchsten
Einstieg in die Val Verzasca, für einen Wein halten. Wir kaufen Käse und Salami ein. Mit dem
Postauto fahren wir danach nach Locarno zurück. Lange träumten wir im Postauto von dieser
einmaligen Bergtour.
Die Tour verläuft auf weiten
Strecken über felsiges
Gelände und Geröll.
Mit der Überschreitung
des Westgrates der
Corona di Redòrta wird
der höchste Punkt der
Via Alta Vallernaggia
erreicht.
Die Tour ist nur für geübte
Bergwanderer geeignet.
Das steile Stück beim Westgrat,
sollte nur bei trockenem Wetter
begangen werden.
Absolute Trittsicherheit ist
hier Pflicht.
Viel urwüchsige Tessiner
Bergwelt.
Anspruchsvolle
Alpinwanderung.
Viele Höhenmeter.
Tourenblatt mit Wanderkarte und Höhenprofil
Link zu den anderen Wanderungen
Für die ganze Strecke benötigten wir ca. 6 3/4 Std. 13,5 km
ca.1460m Aufstieg
ca.1990m Abstieg
2585m höchster Punkt
918m tiefster PunktÜber einen Eintrag in unserem Gästebuch
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